Das Porträt des Professors Christian Griepenkerl markiert eine Schlüsselstelle in Faistauers künstlerischer Entwicklung – zwischen akademischer Ausbildung und dem Aufbruch zur Moderne. Die technisch versierte, psychologisch feinfühlige Darstellung spiegelt noch klassische Porträtkonventionen, doch zugleich kündigt sich im lockeren Pinselduktus, der leuchtenden Farbwahl und der abstrahierten Raumbehandlung ein neuer gestalterischer Zugriff an.

Besonders der monochrome, orangefarbene Hintergrund verleiht dem Bild eine vielschichtige Spannung: Er kontrastiert formal mit der ruhigen Erscheinung Griepenkerls und symbolisiert möglicherweise unbewusst oder bewusst einen Gegensatz – zwischen der konservativen Kunstauffassung des Dargestellten und dem inneren Aufbruch des jungen Malers. So erhält das Werk nicht nur dokumentarischen, sondern auch kunstpolitischen Charakter: Es wird zum stillen, aber vieldeutigen Kommentar auf das Verhältnis von Tradition und Erneuerung im frühen 20. Jahrhundert.

In der Gesamtschau ist das Porträt bedeutend als frühes Zeugnis einer sich formierenden künstlerischen Identität, die sich – mit Respekt, aber ohne Anpassung – von der alten Ordnung absetzt.